Auf den ersten Blick würde ich Essen (und mit ihr das gesamte Ruhrgebiet) nicht unbedingt als erste Wahl für eine Europäische Kulturhauptstadt halten. Aber dem war im Jahr 2010 so. Was erwartet man von einer Stadt die einen solchen Titel trägt? Einen gewissen kulturellen Anspruch.
Mit der Kokerei und Zeche Zollverein besitzt die Stadt sogar ein Weltkulturerbe. Keine schlechte Voraussetzungen, könnte man meinen. Nur irgendwie bekommt man den Eindruck, man hat es niemandem vor Ort gesagt. Ein einfaches Beispiel: Abendführungen über das angestrahlte Zechengelände finden nur einmal (!) die Woche statt. Und um dies – und die Ausgebuchtheit der Tour – herauszufinden, fragt man am (immerhin besetzten) Infostand vor Ort nach, erhält dort eine Telefonnummer, ruft dort an und erfährt dann eben, dass der Termin in dieser Woche ausgebucht sei.
Überhaupt die Sache mit der Information. Wäre der Aufwand wirklich unbezahlbar, auf dem großen Gelände von Kokerei und Zeche ein paar Hinweisschilder aufzustellen, auf denen die Besucher informiert würden, was sie denn sehen? Nicht jeder kann mit den vorhandenen Stahlungetümen von Haus aus etwas anfangen.
Und die zahllosen Baustellenabsperrgitter? Gehören diese zum Kulturobjekt? Für ein Weltkulturerbe und eine Europäische Kulturhauptstadt ist das alles ziemlich unwürdig. Dass einem dann mitten in der abendlichen Fotosession auch noch die Beleuchtung abgedreht wird, war dann wohl einfach Pech.
Dass es besser geht, zeigt der Landschaftspark Nord in Duisburg. Das dortige ehemalige Hüttenwerk ist hervorragend mit Wegen erschlossen. Der riesige Hochofen bis zur Spitze erklimmbar. Hinweisschilder beschreiben viele Details der Anlage. Hier ist Industriekultur spürbar und macht auch Spaß.
Aber noch einmal zurück nach Essen. Die Lichtburg, ein Kino in der Innenstadt, wirbt für sich als größter Kinosaal Deutschlands, 1250 Plätze. Das mag auch so sein. Allerdings ist er wohl auch der größte leere Kinosaal Deutschlands. In der Freitagabend-Spätvorstellung des am Tag zuvor angelaufenen Films Robin Hood verlieren sich gerade mal 10 oder 15 Besucher.
Und auch das gerne vom Ruhrgebiet gepflegte Image, Deutschlands Fußball-Hauptstadt zu sein, hält der Realität nicht völlig Stand, zumindest nicht in Essen. Es ist Samstagabend. In Berlin findet das deutsche Pokalendspiel zwischen Bayern München und Werder Bremen statt. Und ich suche eine Fußballkneipe in Essens Innenstadt. Die erste Empfehlung lautet, man solle doch nach Dortmund fahren, dort gäbe es Fußball in jeder Kneipe (das erinnert mich an „Was ist das beste an Stuttgart? – Die Autobahn nach München“). Ein toller Rat 20 Minuten vor Spielstart! Was ist los mit Essen?? Letztendlich sehe ich das Spiel in der Kneipe Der Löwe. Es handelt sich um eine Wirtschaft, die völlig von der Münchner (!) Löwenbräu-Brauerei geprägt ist! Bayerisches Bier und bayerische Gerichte. Und das mitten im Herz des Ruhrgebiets! Egal, der FC Bayern gewinnt 4:0 und ich bin zufrieden.
P.S.: Sehenswert sind die erwähnte Zeche und Kokerei Zollverein trotzdem. Auch Park und Villa Hügel mit anschließendem Baldeneysee.
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