Die Erkenntnisse eines Wochenendes im November 2010:
- Roger Glover kann Bass spielen.
- Child in Time ist und bleibt einer der größten Rock-Songs aller Zeiten – auch (oder vielleicht gerade), wenn es in einer klassischen Konzerthalle gespielt wird.
Punkt 1 überrascht nicht wirklich, sollte man meinen, schließlich ist Roger Glover über 40 Jahre Bassspieler, davon die meiste Zeit bei Deep Purple. Zusammen mit Schlagzeuger Ian Paice bildet er die wohl beste Rythmn Section der Rockgeschichte (die eine oder andere Bewertung in diesem Beitrag könnte eventuell – zumindest etwas – subjektiv eingefärbt sein). Nur, was vor nicht allzu langer Zeit (Band-historisch betrachtet) begann, war, dass Roger plötzlich live Solos spielt, ein Vorrecht, dass Jahrzehnte der Gitarre und dem Keyboard bei Deep Purple vorbehalten war. Und was er an diesem Novemberabend in der Mitte des Zugabenteils in der Münchner Olympiahalle bot, hat mich vom (wenn auch imaginären) Hocker gehauen.
Zu Punkt 2 komme ich später. Erst ein Blick zurück. Weit zurück. Ok, relativ weit zurück…
Meine Jugendzeit war – rein musikalisch betrachtet – reichlich indifferent (um es mal vorsichtig auszudrücken). Das Radio lief – oder auch nicht. Die Platte, die mein musikalisches Leben verändern sollte, war Perfect Strangers, mit dem Deep Purple in ihrer legendären Mark 2-Besetzung (Ritchie Blackmore, Ian Gillan, Roger Glover, Jon Lord und Ian Paice) 1984 ihre Rückkehr feierten. 1976 hatte sich die Band – d.h. das, was von ihr zu diesem Zeitpunkt noch übrig war – aufgelöst.
Meine erste eigene Platte (zu einem eigenen Plattenspieler sollte ich es allerdings nicht mehr bringen…) war dann aber nicht Perfect Strangers (das hatte ich schon auf Cassette, noch so ein Medium das im MP3-Zeitalter kaum noch einer kennt), sondern Greatest Purple, ein Doppelalbum mit den Band-Höhepunkten aus den 1960er und 1970er Jahren. Um es kurz zu machen, ich hatte meine Lieblingsband gefunden (und bis heute behalten – auch wenn sich mein musikalisches Spektrum im Laufe der Zeit noch ausweiten sollte…).
Live sollte ich Deep Purple erst im Rahmen der House of Blue Light-Tour sehen. Stuttgart, Schleyerhalle, 18. Februar 1987. Schon Wochen vorher fieberte ich auf den Termin hin. Ziemlich früh war ich dort, um einen (Steh-) Platz weit vorne zu bekommen.
Die Vorgruppe war überstanden. Bühnenumbau. Dunkelheit. Die ersten Trommelschläge von Highway Star. Ich glaube, ich bin den Rest des Abends nur mit offenem Mund dagestanden.
Noch im Sommer des gleichen Jahres sah ich Deep Purple das zweite Mal, dieses Mal als Headliner des Monster of Rock-Open Air-Festivals in Pforzheim. Langes Warten in drückender Hitze bis zum Höhepunkt des Tages, der mit Smoke on the Water zu später Stunde ein Ende fand.
1988 brachte eine neue Herausforderung mit sich. Eine Deep Purple-Tour, die nur Konzerte im Norden Deutschlands beinhaltete. Heute setzt man sich an den Rechner, besucht eine Ticketseite wie eventim im Internet, klickt ein paar Mal drauf rum und schon hat man ein Ticket für irgendwo in der Welt. In der alten Welt von 1988 musste man sich erst alle Informationen durch Telefonanrufe besorgen (erinnerst sich noch jemand an die Telefonpreise von vor 20 Jahren? 10 Mark für ein Ferngespräch, abends nach 18 Uhr…). Egal, das Ticket war irgendwann da. Und es konnte nach Köln gehen.
Ohne Plan für die Übernachtung blieben wir – ein Studienfreund und ich – nach dem Konzert noch vor der Halle stehen. Und wurden – weit nach Mitternacht – mit Small Talk und Autogrammen belohnt! Ian Gillan, Roger Glover und Jord Lord haben sich bei dieser Gelegenheit auf meinem Ticket verewigt (das ich für den obigen Scan zum ersten Mal seit Jahrzehnten aus seinem Bilderrahmen geholt habe!). Da das Parkhaus der Veranstaltungshalle über Nacht schloss, fuhren wir noch auf den nächstgelegenen Autobahnparkplatz, um dort im Auto zu übernachten…
Bald nach dieser Tour kam der alte Streit in der Band wieder hoch, er endete damit, dass Ian Gillan durch Joe Lynn Turner, einem alten Kumpel Blackmores aus Rainbow-Zeiten, als Sänger ersetzt wurde. Die dabei entstandene Platte Slaves and Masters war ebenso wie der dazugehörende Liveauftritt (mit Burn als Opener, einer Nummer, die zu Gillan-Zeiten nicht gespielt werden konnte, weil sie aus Coverdale-Zeiten stammt – es solle niemand behaupten, dass die Bandgeschichte von Deep Purple einfach zu durchschauen ist!) nicht schlecht, aber Deep Purple ohne Gillan, da fehlte irgendetwas.
Diese Erkenntnis hatten wohl auch andere. Mit The Battle Rages On… ist die alte, d.h. die legendäre Mark 2-Besetzung wieder zusammen. Was folgt, ist eine Tour mit Höhen und Tiefen. Ich hatte das Glück bei einem Mega-Hoch dabei zu sein, dem Purple-Auftritt im September 1993 in der Stuttgarter Schleyerhalle.
Nicht nur meiner Meinung nach ist dies eines der besten Konzerte der Mark 2-Formation überhaupt. Und glücklicherweise durch CD-Veröffentlichungen (Live in Stuttgart 1993 bzw. Live Across Europe 1993) für die Nachwelt erhalten.
Live Across Europe 1993 enthält neben dem Stuttgart-Konzert auch ein späteres Konzert derselben Tour aus Birmingham. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und die sich im Birmingham-Mitschnitt andeutende Nacht manifestiert sich schon bald. Ritchie Blackmore verlässt noch während der Battle Rages On-Tour die Band (und wird auch nie wieder zurückkehren).
Joe Satriani hat als Purple-Gitarrist nur ein kurzes Intermezzo. Keine Studioplatte entsteht mit ihm. Es bleibt bei Live-Auftritten. Richtig neues Leben kommt erst mit Steve Morse als Gitarristen in die Band. Neue Platten entstehen, unzählige Touren werden absolviert.
Zwei Konzerte sind mir aus der Steve Morse-Ära in besonderer Erinnerung geblieben.
Zum einen der Auftritt Deep Purples gemeinsam mit dem Romanian Philharmonic Orchestra (und weiteren Gästen) in der Münchner Olympiahalle im Herbst 2000, mit der Wiederaufführung des Concerto For Group And Orchestra aus dem Jahr 1969 . Wie sich erst im Nachhinein herausstellen sollte, war die Concerto-Tour auch schon fast der Abschied Jon Lords von Deep Purple. Er bildete zusammen mit Ian Paice die Konstante in der Besetzungsgesichte der Band. Sie waren immer dabei. Jetzt war aber für Lord Schluss, nicht im Streit wie bei Blackmore, er wollte vielmehr eigenen Projekten außerhalb der Band mehr Zeit widmen. Ersetzt wurde er durch Don Airey, einem in der Rockszene sehr bekannten und geschätztem Keyboarder (laut Wikipedia wirkte er an mehr als 200 Alben mit!).
Zum anderen das Konzert in einem Innenhof des Klosters Benediktbeuern im Sommer 2008. Nicht nur das äußere Ambiente war besonders, vielmehr war es der zweite Gitarrist bei Smoke on the Water: Notker Wolf, seines Zeichens der Abtprimas der benediktinischen Konföderation.
Die anderen Deep Purple-Konzerte stehen den genannten nicht nach, jedes einzelne brachte einen unvergesslichen Abend mit sich. Enttäuscht war ich nie! Vielleicht fehlte mal der eine oder andere Song, den man gerne gehört hätte… Woman from Tokyo oder Speed King beispielsweise – und zu Child in Time komme ich ja noch…
Jetzt war also Deep Purple-Konzert Nummer 19 an der Reihe, wiedermal in der Münchner Olympiahalle. Damit bin ich wieder ganz am Anfang dieses Berichtes. Die Sache mit Roger und dem Bass…
Aber noch nicht ganz am Ende. Denn an diesem steht Child in Time. Wie es der Zufall so wollte, spielte an einem Wochenende im November 2010 nicht nur Deep Purple, sondern auch Jon Lord live in München. Die Auftrittsorte konnten dabei unterschiedlicher nicht sein, da die Olympiahalle, hier die Philharmonie im Gasteig.
Angekündigt wird der Abend als „Jon Lord in Classic„. Allein auf der Bühne ist Jon allerdings nicht, er wird vom Deutschen Filmorchester Babelsberg unter Leitung von Scott Lawton, der Band Demon’s Eye sowie den beiden Sängern Steve Balsamo und Kasia Laska begleitet. Diese Besetzung ist nicht nur ein Versprechen, sie übertrifft alles, was ich von dem Abend erwartet hatte.
Mit den Worten „It’s always the guitarist“ – der Konzertauftakt durch den Demon’s Eye-Gitarristen stockte – hatte Jon die Lacher auf seiner Seite (wer sollte dabei nicht an den alten Ärger mit Blackmore denken). Was folgte war die komplette Aufführung des oben schon erwähnten Concertos. Im Gegensatz zu meinem ersten Live-Erlebnis nun auch noch in passender Umgebung! In der zweiten Konzerthälfte ging es mit dem Machine Head-Klassiker Pictures of Home weiter. Im Anschluss die Höhepunkte aus Lords umfangreichen Soloschaffen (auch wenn ich nicht gerade der Klassik-Fan schlechthin bin, Pictured Within oder Sarabande finde ich wunderschön).
Als ich dachte, dass der Abend mit Soldier of Fortune (aus dem Purple-Album Stormbringer) seinen Höhepunkt erreicht hätte, kamen drei (!) Töne aus Jon Lords Hammond-Orgel, die mir fast die Tränen in die Augen trieben. Der Anfang von Child in Time. Was ein magischer Moment! Deep Purple selbst spielen die Nummer schon seit Jahren – wohl aus stimmlichen Gründen – nicht mehr. Meine Begeisterung in den nächsten zehn Minuten kannte keine Grenzen mehr.
Long Live Rock ’n‘ Roll!
P.S.1: Sommer 2012. Auch mit Jon Lord wird es Child in Time live nicht mehr geben. Jon verstarb im Alter von 71 Jahren.
P.S.2: Jahresbeginn 2013. Deep Purple kündigen ein neues Studio-Album an. Und weitere Konzerte.
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Sehr interessant, wir waren beide bei mindesten 3 Konzerten gemeinsam dort.
1986 ZZ-Top, 1987 Bryan Adams und 1987 Deep Purple in Pforzheim.
Ich habe zu der Zeit in Pforzheim gewohnt, war also für mich ein Heimspiel.
Viele Andere Bands habe ich auch gesehen, aber in anderen Städten. So z.B. David Gilmour in Stuttgart beim Jazz Open.
Das wird mir auch ewig denken.
Bei Pink Floyd 1988 waren Sie gemeinsam mit meiner Frau 😉 Das Konzert hab ich leider verpasst.
Sehr schöne Bilder.