Ich schwöre, es war keine Absicht. Aber der 50-Euro-Schein befand sich im Pass. Und der Pass befand sich zu diesem Zeitpunkt in den Händen eines mazedonischen Zollbeamtens. Und das an einer Grenzstation, die mit Aufklebern vollgeklebt war, die vor Bestechung warnten. Der Zollbeamte gab mir den Pass zurück, mit der bitte, doch nochmals hineinzuschauen. Es hat gedauert, bis ich geblickt habe, warum…
Dabei war schon der Weg zur mazedonischen Grenze nicht wirklich einfach. Die Griechen ignorieren nämlich ihren neuen nördlichen Nachbar. Griechenland befürchtet Gebietsansprüche Mazedoniens auf seine Region Makedonien. Und so findet man höchstens mal ein Verkehrsschild mit einem Hinweis auf FYROM (Former Yugoslavian Republic of Macedonia). Europa im Frühjahr 2008.
Diese Reise begann natürlich nicht mit der Suche nach der griechisch-mazedonischen Grenze, sie begann mit einer Fahrt durch die Schweizer Alpen und Norditalien. Der erste Reisetag endete in der kleinen Republik San Marino auf einem Campingplatz. Schön gelegen und mit einer hervorragenden Pizzeria ausgestattet.
Bevor die Fahrt am nächsten Tag weiterging, stand noch ein Gang durch die Altstadt sowie entlang der alten Festungsmauer in San Marino auf dem Programm. Das Wetter lies zwar etwas zu wünschen übrig (es war trübe und zeitweise regnete es), lohnenswert war die Besichtigung aber trotzdem, nicht ohne Grund gehört die Stadt San Marino und der Monte Titano, auf der sie liegt, zum Weltkulturerbe.
Auf der Fahrt zur italienischen Hafenstadt Ancona regnete es weiter vor sich hin. Ich hatte die Fähre nach Griechenland schon vorab gebucht, so dass es beim „Einschiffen“ keine Probleme gab. Überraschend war allerdings, dass wir – so schien es zumindest – fast die einzigen Urlauber auf der Fähre waren. Die Fähre war voll mit gebrauchten Fahrzeugen aus Deutschland. Und als Marke gab es fast nur Mercedes. Wir sollten die Autos alle in Albanien wiedersehen. Bei einbrechender Dunkelheit legt die Fähre ab und quert bei ruhiger See die Adria. Morgens sind wir in Igoumenitsa, ganz im Nordwesten Griechenlands gelegen.
Kaum haben wir Igoumenitsa verlassen, regnet es auch hier, in den Bergen teilweise sogar mit Schnee vermischt. Die Egnatia Odos, die neue Autobahn die Nordgriechenland komplett durchquert, wird erst ein Jahr später fertig sein. So geht es bergauf, bergab in Richtung Osten. Nach Kalambaka, zu Füßen der Metéora-Klöster. Fast 20 Jahre ist es her, dass ich während einer Interrail-Reise das letzte Mal hier war. Bei Sonnenschein stehen am nächsten Tag mehrere der auf Felsspitzen gebauten Klöster auf dem Besuchsprogramm.
Abgesehen vom eingangs beschriebenen „Zwischenfall“ ist die Einreise nach Mazedonien problemlos. Nach einem Stopp in Bitola und der Besichtigung der dort liegenden römischen Ruinen von Herakleia Lynkestis geht es weiter an den schön gelegenen Ohridsee. In Ohrid, dem mazedonischen Hauptort am See, werden wir von einem Radfahrer „verfolgt“. Es stellt sich heraus, dass er uns eine Unterkunft anbieten will. Sie ist einfach, sauber und zentrumsnah gelegen. Wir nehmen sie.
Ohrid besitzt eine schöne Altstadt, über der die mittelalterliche Festung des Zaren Samuil thront. Die Stadt ist voll von Kirchen, aber auch mehrere Moscheen gibt es. Nach zwei Nächten in Ohrid geht die Fahrt entlang des Ostufers des Ohridsees weiter. Kurz vor der albanischen Grenze besuchen wir noch das sehenswerte Kloster Sveti Naum.
Nun ist es soweit. Albanien steht vor der Tür, oder besser gesagt, wir stehen an der mazedonisch-albanischen Grenze. Bei Albanien beschleicht mich ein bisschen das Gefühl, das ich hatte, als ich nach Vietnam oder Ruanda unterwegs war. Eine gewisse Flauheit. Was wird uns erwarten? Der Grenzübertritt stellt sich als einfach heraus, ja wäre da nicht auch ein Koreaner (oder war es ein Japaner, ich weiß es nicht mehr so genau), der zeitgleich einreisen wollte. Obwohl reichlich Grenzbeamten vorhanden wären, behandelt nur einer uns gleichzeitig (und mit den Formalitäten für einen Asiaten scheint er überfordert). Alles zieht sich etwas hin.
Albanien war bis Ende der 80er Jahre völlig von der Außenwelt abgeschottet. Die Betonbunker aus der Zeit der Isolierung – es gibt davon mehrere Hunderttausend im Land – findet man überall. Besonders viele in Grenzgebieten und Küstennähe.
Im Umfeld größerer Städte sind die Straßen oft schon erneuert, in abgelegenen Gebieten aber auch noch von vielen Schlaglöchern übersät. Und wo die Straße gerade erneuert wird, fährt man einfach mitten durch die Baustelle.
Die Verteilung der Automarken auf Albaniens Straßen ist einfach: Gut 90 Prozent sind Mercedes (in der Mehrzahl die schon angesprochenen Gebrauchtfahrzeuge). Vom Rest sind ein Großteil Audi 80 (da wir selbst mit einem zum Reisezeitpunkt fast 20 Jahre alten Audi 80 unterwegs sind, fallen wir nicht weiter auf).
Die Kommunikation ist oft nicht einfach. Meine Albanisch-Kenntnisse sind nahe Null, bleibt also nur die Hoffnung, dass sich immer jemand findet, der ein wenig Deutsch oder Englisch spricht. Da bleibt es nicht aus, dass ein bestelltes Essen auch mal nur aus einer Portion Reis und etwas Salat besteht. Umgekehrt hat man auch keine Probleme an Polizeikontrollen. Ein paar Worte auf Deutsch und schon wird man durch gewunken.
Korça ist das Ziel des ersten Tages in Albanien, eine Stadt im Südosten des Landes ohne allzu viele Sehenswürdigkeiten. Entlang des Grammos-Gebirges geht die Fahrt am nächsten Tag nach Përmet. Auffallend sind die zahllosen, sehr neu aussehenden, immer gleichen Verkehrsschilder, bestehend aus einer Kombination der Ankündigung einer Doppelkurve in 1000 Metern und einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h.
Mit Gjirokastra – der Stadt der Steine – und Butrint – eine auf einer Halbinsel zwischen dem See von Butrint, dem Vivar-Kanal und dem Ionischen Meer gelegenen Ruinenstätte – folgen in den nächsten Tage sehr sehenswerte Orte im Süden des Landes. Von Butrint aus geht es durch die Albanische Riviera – immer entlang der Küste, erst des Ionischen Meeres, später der Adria – in Richtung Norden. In Dhërmi beginnt – straßentechnisch gesehen – das Paradies. Nach fast einem Tag Baustellen und Geholper war mir das einen Stopp wert.
Übernachten in Orikum an der Bucht von Vlora. Am Morgen Weiterfahrt über Vlora und Apollonia nach Berat, der Stadt der tausend Fenster. Berat ist neben Gjirokastra die Sehenswürdigkeit Albaniens schlechthin! Aber auch Tirana, die Hauptstadt Albaniens und unser nächstes Ziel, bietet – für mich durchaus überraschend – eine Menge zu sehen.
Nach einer knappen Woche geht mein erster Besuch in Albanien mit der Ausreise nach Montenegro zu Ende. Mir hat das Land – alles in allem – sehr gut gefallen! Die Landschaften, die Städte und insbesondere auch die Albaner selbst. Auch wenn die Verständigungsschwierigkeiten oft groß waren, waren sie immer freundlich und hilfsbereit.
Montenegro – ein verhältnismäßig kleiner Staat, der aus dem ehemaligen Jugoslawien entstanden ist – hat – wie der Namen schon vermuten lässt – viele Berge! Und eine schöne Küste! Nach einer Nacht in Virpazar am Skutarisee fahren wir entlang der Adriaküste weiter nordwärts, ein kurzer Stopp bei Sveti Stefan, längere Stopps in Budva und Kotor, Übernachten in Herceg Novi.
Herceg Novi liegt schon fast an der kroatischen Grenze. Und kurz hinter dieser Grenze liegt Dubrovnik! Der Name Perle der Adria hat voll und ganz seine Berechtigung. Die Altstadt und die Stadtmauer – beide wurden während des Kroatien-Krieges in der Schlacht um Dubrovnik 1991/92 erheblich beschädigt – sind zwischenzeitlich fast komplett wieder restauriert. Ein Rundgang über die fast zwei Kilometer lange Stadtmauer belohnt mit vielen Blicken auf die Stadt und das Meer.
Während wir – abgesehen von der ersten Nacht in San Marino – bisher immer feste Unterkünfte auf dieser Reise hatten, ist in Kroatien wieder das Zelt unser Übernachtungsort. Nicht jeder Campingplatz hat im April schon offen, aber mit ein wenig suchen, finden wir immer einen. Auch wenn, wie in Opuzen geschehen, wir die einzigen Gäste sind (dafür aber auch vom Campingplatzbesitzer auf ein Bier eingeladen werden!).
Von Kroatien machen wir einen Abstecher nach Bosnien-Herzegowina, ich möchte die wieder aufgebaute Alte Brücke (Stari most) über der Neretva in Mostar sehen. Mitte des 16. Jahrhunderts erbaut wurde sie 1993 im jugoslawischen Bürgerkrieg zerstört. Schon 1995 wurde mit ihrem Wiederaufbau begonnen. Heute erstrahlt sie wieder in ihrer alten Schönheit. Ganz im Gegenteil zu vielen anderen Teilen der Stadt, der man noch immer ihre zahllosen Zerstörungen und Kriegswunden ansieht. Immer wieder stockt einem der Atem, wenn man sieht, was am Ende des 20. Jahrhunderts noch mitten in Europa passieren konnte.
Medjugorje, ein kleiner Ort im Westen Herzegowinas, ist ein Zwischenhalt auf der Fahrt zurück nach Kroatien. Bekannt wurde der Ort durch vermeintliche Marienerscheinungen in den 80er Jahren, die aber von der (offiziellen) katholischen Kirche bis heute nicht anerkannt wurden. Trotzdem besuchen eine Vielzahl von Pilgern diesen Ort.
Zurück an der Dalmatinischen Küste in Kroatien warten mit den Städten Sibenik und Zadar sowie dem Nationalpark Krka weitere Höhepunkte dieser Reise, nur noch getoppt vom Nationalpark Plitvicer Seen. Mit dem Besuch der Plitvicer Seen geht die Reise ihrem Ende entgegen. Auf der Insel Krk, dem nächsten Ziel, regnet es.
Und das Wetter soll in den nächsten nicht besser werden. Ohne viele Stopps fahren wir durch Slowenien und Österreich zurück nach München.
Nie mehr seit der Asien-Reise 2001/2002 habe ich während einer einzigen Reise so viele Länder – San Marino, Mazedonien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina – erstmalig besucht. Obwohl der Balkan – wenn man wie ich im Südosten Deutschlands lebt – fast vor der Haustür liegt, war er für mich – bis zu dieser Reise – sehr weit weg. Geprägt durch die Kriegsbilder aus Jugoslawien und der langen Verschlossenheit Albaniens. Mein Bild hat sich geändert. Beeindruckende Landschaften, herausragende Stadtschönheiten, freundliche Menschen, das ist mein neues Bild vom Balkan.